heute und vor 100 Jahren
Ich liebe den Stil von Erich Kästner, seine Einfachheit, sein Wortwitz und seine Klarheit. Nein, ich meine nicht seine Kinderbücher (die sind auch großartig), ich meine seine Lyrik und zeitkritischen Texte der 1930er Jahre.
Nun lese ich sie erneut und komme nicht umhin, sie mit unserer Zeit zu vergleichen. Kästner (und auch viele andere Autoren wie Mann, Tucholsky, Brecht), haben es nicht für möglich gehalten, dass „die braunen Kasperle“ tatsächlich an die Macht kommen. Wir haben blonde Kasperle, die rumkrakeelen und mit einem Stecken um sich schlagen. „Verschwinde, Demokratie!“ „Hau ab, Immigrant!“ „Schleich dich, du Gutmensch.“
Aber wieso über den großen Teich schielen oder zu einer Insel spähen, es gibt ausreichend Tamtam in unserem Land. Retrospektive: Vor 100 Jahren war die Weimarer Republik unfähig soziale Probleme zu erkennen und zu beheben. Es herrschte eine Weltwirtschaftskrise und eine Regierung aus ganz rechts und ganz links zankte sich um die Macht. Die „braunen Kasperle“ hatten ideale Bedingungen, um ihre Machtbühne zu betreten.
Von wem wurden die Nazis gewählt? Es waren nicht nur die Arbeitslosen (viele von ihnen votierten eher links). Es waren auch nicht nur die Reichen aus Sorge vor “bolschewistischen Zuständen”. Es waren die Kleinbürger! Die Bürger, die glaubten, dass mehr Autorität die Not beseitigen würde.
Heute machen die besorgten Bürger eine Menge Theater, vor allem in den Sozialen Medien. Die besorgten Bürger haben ihren Anstand verloren und rufen nach mehr Sicherheit durch Abgrenzung und Überwachung. Das hatten wir doch schon alles in den zwölf braunen und in den 40 roten Jahren.
2014 lächelten wir noch als Bernd Lucke in einer TV-Sendung ein Deutschlandfähnchen wie ein Häkeldeckchen über die Armlehne seines Sessels legte. Auf keinen Fall wollten Politiker mit der AfD reden — auf keinen Fall! 2017 waren sie im Bundestag. Nun redet man bzw. beschimpft sich. „Aber es wird nie eine Koalition mit ihr geben“, sagen die Vertreter aus den großen Parteien. Wirklich?
Was sind wir, Kleinbürger, Gutmensch, Abgehängter, Politverdrossener? Egal in welchem (legalen) politischen Spektrum wir uns bewegen, man kann auf einem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen“ (Erich Kästner).
Lasst uns in Bewegung bleiben