Bähm!
Unzählige Nachrichten peitschen durch den Tag, erschütternde, schockierende, befremdliche, skurrile und auch unsinnige. An den Diskussionen in den Netzwerken und Bekanntenkreis möchte ich mich beteiligen, aber ehe ich mir eine Meinung gebildet habe, ist schon ein neues Thema im Umlauf. Die anderen haben ihre Meinung und — Bähm! — raus damit. Ich bin beeindruckt, wie schnell und selbstbewusst, eine Position bezogen wird. Den anderen scheint alles glasklar zu sein, egal ob Themen zur Umwelt, Flüchtlinge, Abtreibung oder Sterbehilfe.
Ja, es gibt Sichtweisen, die eine universelle Wahrheit in sich tragen, wie das Recht auf Leben und Menschenwürde und doch erlebe ich einen Zwiespalt, sobald eine Diskussion mit einer persönlichen Betroffenheit einhergeht. Ich ringe mit dem Für und Wider.
Ich bin für das Leben und in all meinen Geschichten ist der Grundtenor: Das Leben ist immer wertvoll! Und doch sehe ich den Schmerz, wenn ein Elternpaar mit der Entscheidung ringt, ob sie ein zweites behindertes Kind zur Welt bringen sollen. Der Vater sagte: „Ich sterbe jedes Mal, wenn ich unseren großen, kranken Sohn wieder zum Notarzt bringen muss. Ich kann nicht noch mehr Tode für ein zweites Kind sterben.“
Unser eritreischer Freund arbeitet hart, um seine kleine Familie in Oberbayern zu versorgen. Ganz ehrlich — die Arbeit, die Zuwanderer übernehmen, will kein deutscher Bürger machen. Ich höre den Experten zu, die sich mit Flüchtlingsursachen beschäftigen oder das Recht auf Selbstbestimmung einer Schwangeren. Ich höre zu! Ich bilde mir eine Meinung, gleiche sie mit persönlichen Erfahrungen ab, überdenke, verwerfe, entwickle neu.
Parolen, Schlagwörter, Hashtags, Likes und Dislikes bedienen die menschliche Bequemlichkeit, aber der Meinungsbildungsprozess ist unbequem und zeitaufwendig. Ich zitiere aus Kästners Roman „Fabien“, der 1931 erschien:
Man beeinflusst die öffentliche Meinung mit Meldungen wirksamer als durch Artikel, aber am wirksamsten dadurch, dass man weder das eine noch das andere bringt. Die bequemste öffentliche Meinung ist noch immer die öffentliche Meinungslosigkeit.“
Wie viele Kommentare auf FB & Co und wie viele Gespräche sind eine Äußerung der Meinungslosigkeit? Die beste Art der Diskussion (nach Immanuel Kant) ist, dem Gegenüber zu helfen, seine Argumente in einem strittigen Thema zu formulieren, um sie erst dann zu widerlegen. Ja, das ist schwer und unbequem und zeitaufwendig.