Irgendwie

Ich schaffe das irgendwie, dachte ich, als ich viel zu viele Termine vereinbarte und Projekte annahm. Durchhalten, ermahnte ich mich und rief mir in Erinnerung, dass ich es doch immer irgendwie geschafft habe.

In den letzten Wochen wuchs mir mein Irgendwie über den Kopf. Ich konnte nicht Nein sagen und manchmal wollte ich auch nicht Nein sagen, weil das Angebot so verlockend war. Eine Anfrage der EKD lautete: „Möchtest du einen Workshop im Europapark machen?“ Da musste ich nicht überlegen, wenn Silverstar, Wotan und Bluefire auf mich warteten. Irgendwie werde ich das schon schaffen. Vielleicht könnte ich während der Autofahrt Telefonate führen oder frühmorgens am Manuskript schreiben. Die Zeit im Europapark war so genial wie erhofft – nur gearbeitet habe ich wenig. Das Miteinander war ausgelassen und inspirierend. Achterbahnen katapultieren mich immer aus dem Alltag und verzaubern mich für einen Moment.

Lehrreich war es auch. Ich wusste nicht, dass die evangelische und katholische Kirche aktiv im Freizeitpark mitarbeiten, dass sie Raum für Gespräche schaffen und Zeremonien wie Hochzeiten und Taufen organisieren. Die Diakonin erzählte mir, dass manche Familien zwei Jahre für ein Wochenende sparen. Zwei Jahre? Der Aufenthalt ist teuer, vor allem wenn man in einem Mottohotel übernachtet. Für 3.000 € wird eine Familie aus dem Alltag geschubst und mit Eindrücken geflutet. Alles ist magic. Unterhaltung pur.

Hohe Erwartungen
Mir ging es nicht aus dem Kopf, dass manche Familien so lange für einen Freizeitparkbesuch sparen. Die Erwartungen an dieses Wochenende müssen riesig sein. Was, wenn es regnet, einer krank wird oder man sich gestritten hat? Was, wenn die Kinder quengeln, die Warteschlange zwei Stunden dauert oder das Essen nicht schmeckt? Während ich über diese Familien nachdachte, vergaß ich, dass ich selbst viel zu hohe Erwartungen schürte.

Ich hatte Monate lang an unterschiedlichen Projekten durchgearbeitet – auch an den Wochenenden und Feiertagen. Endlich hatte ich es irgendwie geschafft und freute mich auf eine Auszeit mit meinem Ehemann. Ab in die Alpen. Ich weiß, dass ich schnell abschalten kann, wenn ich erst mal unterwegs bin.
Kaum angekommen, brachte ich meinen Mann in die Notaufnahme. Gefährliche Infektion. Plötzlich war alles anders. Einen halben Tag wanderte ich alleine auf einen Berg, die restliche Zeit verbrachte ich im Krankenhaus. Ein paar Stunden radelte ich durch Täler, die anderen saß ich am Krankenbett. Auf der Promenade gönnte ich mir einen Cappuccino und fühlte mich zwischen Paaren und Familien seltsam deplatziert. Ein paar Tage später hatte mein Mann Lust auf einen Krankenhaus-Pappbecher-Cappu. Immerhin italienisch.

Ein Vorsatz
Müdigkeit und Enttäuschungen hingen mir nach und irgendwann konnte ich mich nicht mehr aufraffen, um einen Moment zu genießen. Genuss braucht auch immer eine Portion Sicherheit. In Zukunft will ich es anders machen: mehr freie Tage einplanen, notfalls auch eine reizvolle Aufgabe absagen, mir ein Mittagsschläfchen gönnen, die Arbeit gut und nicht irgendwie bewältigen. Ich will mir Pufferzonen für meine Seele schaffen, weil ich weiß, dass immer etwas dazwischenkommen kann.

zuerst erschienen in der Kolumne Menschenskinder
FamilyNext 5/24