Wenn die Tür zubleibt

Es gibt ein Wort dafür, wenn ein vertrauter Mensch alle Kontakte abbricht und nicht mehr erreichbar ist: Ghosting! Er wird zum Geist – unsichtbar, unnahbar, ungreifbar.

Irgendwo zwischen Nord- und Süddeutschland flattert unser gerissenes Freundschaftsband. Es hat viele Fäden. Bestand doch unsere Freundschaft schon seit Kindheitstagen. Über dreißig Jahre waren wir verbunden und nun haben wir keinen Kontakt mehr.
„Es passt nicht mehr“, sagte der Mensch zu mir. „Aber es liegt nicht an dir.“
Woran liegt es denn? Können wir darüber reden? Wollen wir uns treffen? Kann ich etwas für dich tun? Soll ich warten? Keine Antwort. Kontaktabbruch. Blockiert auf Messengerdiensten.
Ich schreibe Karten. Sie trudeln ins Ungewisse. Das Bedürfnis nach Antworten zerreißt mich. Ich schwanke zwischen Ratlosigkeit und Geduld, Mitgefühl und Empörung, Selbstvorwürfen und Ärger.

Auf der Suche nach einer Erklärung

Ich krame in meinen Hirnwindungen nach einer Erklärung. Wie habe ich mich wo verhalten? Womit habe ich den Menschen verletzt? Was scheint so unüberwindbar zu sein? Es ist mir peinlich, mit anderen darüber zu sprechen, weil es sich wie eine Niederlage anfühlt. Ich fürchte Kommentare wie: „Es kann nicht nur an einen liegen. Irgendetwas hast du falsch gemacht.“
Ja, das schließe ich nicht aus. Ich möchte einfach nur wissen, was es ist.
In einem Podcast höre ich das erste Mal über Ghosting. Ach, es trifft auch andere? Was uns eint, ist Hilflosigkeit! Uns wurde jede Handlungsmöglichkeit genommen.
Einmal wagte ich mich bis zum Haus dieses Menschen. Das Herz schlug mir bis zum Hals und trommelte hinter meinen Schläfen. Wenn der Mensch mich sieht, dann wird es wieder gut, dachte ich. Mir wurde die Tür nicht geöffnet. Erschöpft fuhr ich weg.

Auf der Suche nach Trost

Endlich erzähle ich Freunden davon, hoffe auf Verständnis. Ich bekomme Ratschläge. „Du musst vergeben.“
Thema verfehlt, denke ich. Es geht nicht um Vergebung, sondern um Trauer. Ich gestehe meine Enttäuschung ein und bekomme wieder einen Ratschlag.
„Wenn du enttäuscht bist, hast du dich täuschen lassen.“
Nein, nein, nein. Unsere Freundschaft war echt, tragfähig und innig. Immer diese schlagenden Ratschläge. Ich bin vor allem eins: traurig. Trauer ist das mächtigste Gefühl und obwohl es mir vertraut ist, hätte ich nie gedacht, dass ich um einen Menschen trauern muss, der noch lebt.
Als mein erster Ehemann starb, hatte ich Rituale und Stationen des Abschieds. Hier habe ich nur ein gerissenes Band. Noch immer glaube ich, dass die losen Fäden verknüpft werden können, aber dann steht dieses Band unter Spannung und wird nicht mehr so belastbar sein. Es bräuchte einen himmlischen Seilmacher oder Weber, einen Handwerker so wie Jesus. Es tröstet mich, dass Gottes Sohn ein Zimmermann war. Er könnte es richten, herrichten und aufrichten – wenn wir ihn ließen.

Ein gerissenes Band zu knüpfen, bedeutet:
Es wird unter Spannung stehen, wenn es wieder verbunden ist.

 

zuerst erschienen in Family Next 4/24

Susanne Ospelkaus