Tanz mit mir
Ich habe eine lange Argumentationskette, warum Tanzen guttut: Zweisamkeit und Gesellschaft, Beweglichkeit und Koordination, Prävention und mentale Gesundheit. Mein Mann hört sich alles stumm an. Er stimmt mir weder zu noch widerspricht er. Als es in unserer Stadt einen Tanzabend mit Livemusik gab, hatte ich für uns einen Kurs mit Swing-Linedance herausgesucht. Man tanzt nicht als Paar, sondern nebeneinander. Dann macht es nichts, wenn einer die Schrittfolge noch nicht schafft oder aus dem Rhythmus gerät. Die Stimmung war großartig. Viele trugen Kleidung aus den 1940er-Jahren: Petticoat und Kragenblusen, Karohosen und Hosenträger. Ich hatte Spaß und übte fleißig die Tanzschritte von eins bis acht und wieder von vorn. Mein Mann stand am Rand und wippte mit dem Fuß. Da wusste ich: Tanzen wird niemals unser gemeinsames Hobby werden.
Gut, wir werden keine Tänzer, trotzdem genießen wir Musik – sitzend, wippend, swingend. Letztens besuchten wir ein Kulturfest. Es gab viele kleine Bühnen mit Livemusik. Das Publikum war bunt gemischt, so wie das bei kostenfreiem Eintritt am Nachmittag ist: Paare, Familien, Teenies, Männergruppen, Frauencliquen und Seniorenvereine. Wir setzten uns an einen Tisch und hörten zu. Ich schaute mir die fröhliche Menschenmenge an. Kinder hüpften vor der Bühne. Mütter drehten sich mit Babys im Kreis. Es tanzten Frauen und Kinder und nur ein einziger Mann. Tanzen? Er taumelte auf der Stelle, bog seine Hüfte mal nach rechts und mal nach links. Er tanzte mit einer älteren Dame. Sie hielten sich einfach an den Händen. Schön, dachte ich, dass es ihm so egal ist, wie es aussieht. Hauptsache tanzen!
Mein Mann sagte: „Ich glaube, er ist beeinträchtigt.“
Hatte er tatsächlich Lernschwierigkeiten oder Intelligenzminderung? Das ist unwichtig und geht uns nichts an, aber er hatte diese Wurschtigkeit, nach der ich mich oft sehne. Tun, egal, was andere sagen. Anziehen, nur weil es mir gefällt. Tanzen, auch wenn ich es nicht gelernt habe. Singen, selbst wenn ich nicht alle Töne treffe. Wieso will ich immer alles richtig machen?
Ein Freund von mir arbeitet als Klinikclown. Clowns haben auch diese Wurschtigkeit und eine unbändige Freude am Moment. Ja, er spielt eine Rolle, aber sie inspiriert mich.
Mein Freund sagt oft: „Wer sprechen kann, kann singen. Wer gehen kann, kann tanzen.“
Menschenskinder, so einfach? Alexander und ich – wir können gehen. Wir rennen sogar durch den Wald, klettern über Berge, spazieren durch Städte. Und dann sollten wir nicht tanzen können? Wenn wir ein Konzert besuchen, halten wir uns an den Händen und wiegen uns hin und her. Wenn wir auf einem Tanzabend sind, freuen wir uns an den anderen Tanzpaaren. Wir schauen zu, wie sie über den Boden gleiten und die Frauen sich drehen, bis die Petticoats flattern. Manchmal stellen wir uns an den Rand und nehmen uns in den Arm. Dann tapsen wir auf der Stelle, bewegen uns nicht einmal im Rhythmus, doch immer gemeinsam. Und vielleicht werde ich auch mal wieder singen – einfach so, nur für mich, weil es Spaß macht, denn wer sprechen kann, kann …
zuerst erschienen in FamilyNEXT 1/25