Ich mit mir

„Bis später“, sagt mein Mann und schiebt sich das Visier herunter. Er röhrt davon und ich winke.

sagt mein Mann und schiebt sich das Visier herunter. Er röhrt davon und ich winke.

Nun habe ich Zeit. Zeit nur für mich. Ich kann einen ganzen Samstag arbeiten. Niemand wird mich am Schreibtisch stören. Wie wunderbar! Meine Begeisterung ist nicht von Dauer. Schreiben ist Arbeit. Während ich am Schreibtisch hocke, saust mein Mann durch Täler und über Berge. Ich schmiere mir eine Stulle und er trinkt Cappuccino in Italien. Ich grüble über einen Roman und er plaudert mit seinen Motorradfreunden. Ich entdecke ein kleines, fieses Gefühl in mir: Neid.

Alleinsein genießen?
Ich bin nicht neidisch, weil er Motorrad fährt. Ich bin neidisch, weil er einen schönen Tag hat und ich nicht. Entspannt und erfüllt kommt er nach Hause, während ich schlechte Laune habe, weil mich die Muse nicht geküsst hat oder weil meine Texte letztendlich dröge sind.
„Du musst doch nicht arbeiten“, sagt er. „Mach doch auch was Schönes.“ Ich koche, mache Gartenarbeit, lese ein Buch. Das gefällt mir. Doch es nicht das gleiche Level wie mit dem-Motorrad-durch-die Berge-sausen. Ich bin unzufrieden mit mir. Ich dachte, es wäre spannender, wenn ich mit mir alleine bin. Ich finde es langweilig mit mir. Dabei wäre ich in einer Stunde im Chiemgau und könnte wandern, Quellwasser trinken und Bergkäse essen. Ich gebe mir einen Ruck, ziehe Wanderschuhe an und breche auf. Meine Gedanken trudeln durcheinander. Was ich doch alles Zuhause tun könnte? Werde ich das Alleinsein genießen können? Ich laufe los. Rasch geht es steil bergauf und ich ringe nach Atem. Nun muss ich mich auf jeden Schritt konzentrieren, gleichmäßig atmen und mein Tempo finden. Die Gedanken plärren: „Das kannst du sowieso nicht genießen. Du könntest auch an einer neuen Idee arbeiten.“ Ich schnaufe: „Ruhe! Ich will einfach nur atmen, laufen, gucken.“ „Du klingst schon wie der Mann in Loriots Feierabendsketch.“

Schritt für Schritt
Ich nehme einen Klettersteig. Jetzt muss jeder Schritt passen. Gleichgewicht und Fokus! Endlich schweigen meine Gedanken. Offenbar wollen sie, dass mir nichts passiert. Einmal flüstert ein Gedanke: „Ist es vernünftig, alleine zu gehen? Was, wenn dir etwas passiert?“ Pscht. Der Schweiß läuft mir über den Rücken. Der Puls jagt mir durch die Adern. Weiter so. Schritt für Schritt.
Ich stehe unter dem Gipfelkreuz. Der Wind pfeift und trocknet den Schweiß auf meiner Stirn. Wolken in allen Formationen ziehen vorbei: geknüllt, gefedert und getupft. Ich sehe in die Weite und überall schimmert es Blau. Bergblau, Königsblau und Himmelblau. Endlich ist es still in mir und ich ahne, warum Berge immer ein heiliger Ort für Menschen waren. Plötzlich ist da dieses kleine, feine Gefühl, dass ich mir selbst genug sein kann. Dem Himmel sei Dank!



zuerst erschienen in FamilyNEXT 2/25