Offene Türen

Türen in allen möglichen Formen: alte, verziert, schmiedeeisern, zerkratzt, bunt, filigran, verrammelt oder geöffnet. Ich fotografiere Türen … und Fenster und Treppenhäuser.

Letztens hatte ich die Galerie meines Smartphones aufgeräumt. Was macht man nur mit so vielen Fotos? Was machen all die Menschen mit den vielen Fotos, die täglich geschossen werden. Was alles fotografiert wird? Essen, Wolken, Blumen, Kinder, die Familie sowieso, sich selbst oder eben, wie bei mir: Türen.

Ich weiß nicht, woher meine Faszination für Türen herrührt. Vielleicht weil ich eine Tischlerstocher bin. Mein Elternhaus stammt aus den 1920er-Jahren. Puppenstube nannten es Gäste, weil alles so klein und eng war. Ich wuchs in der DDR auf und da konnte man nicht umbauen, wie man wollte – Knappheit! Es gab nicht genug Baumaterial. Nach und nach gestaltete mein Vater das alte Haus um. Von innen nach außen. Er ersetzte alte Türen und baute eine neue Holztreppe. Er schreinert Schränke, die in die Nischen passten. Jede Ecke wurde genutzt und jedes Möbelstück wurde zu einem Raumwunder.
Mit meinem Bruder teilte ich mir ein Zimmer unter dem Dach. Es war klein und gemütlich, aber auch dunkel. Eines Tages begann mein Vater ein Loch in das Dach zu reißen. Er zimmerte ein Fenster, dass genau zwischen die Balken passte. Es war großartig. Plötzlich war der Raum riesig. Nicht nur Puppen, Bücher, Matchbox-Autos hatten Platz, sondern auch Sonne, Wolken und der Mond. Wenn ich mich im richtigen Winkel unter das Fenster legte, sah ich die Blätter unserer Linde. Sie wehten und rauschten. Was war das für ein Gefühl, wenn der Regen auf das Dachfenster prasselte. Es war nur ein Fenster und doch ein Blick in eine andere Welt.

Bauernhaus, Kurbad, Bootsschuppen, Kirche, Dorfschule, Schloss, Weinkeller, Scheune, Universität. Sie alle öffnen ihre Tür in eine eigene Welt. Mal muss man sich entgegenstemmen oder bücken, um hineinzukommen. Mal kann man schreiten, huschen oder auf leisen Sohlen laufen. Türen sind wunderbar. Der Tischler aus Nazareth zimmerte auch Türen und sie führten in neue Räume. Raus aus Enge und Mief. Plötzlich ist da eine ungeahnte Weite. Jesus baute Türen und öffnete Räume für Gnade, Hoffnung, Trost, Heilung und Segen. Wie wird es für die Frau gewesen sein, als Jesus für sie eine Tür öffnete und die Steine niedergelegt wurden, die sie hätten töten sollen? Wie war es für die Mutter, als Jesus eingriff und ihr Sohn wieder lebendig in ihr Leben trat? Jesus nahm eine Einladung an und Zachäus kletterte vom Baum. Er flitzte durch die Tür, die Jesus geöffnet hatte für ihn und für andere. Der Blinde tastete sich voran, die Kranke wagte einen Schritt über die Schwelle, die Kinder hüpften leichtherzig hindurch und vielleicht turnen sie im Türrahmen.
Ich liebe das Bild von Jesus dem Zimmermann, der anpackt und nicht nur Wände einreißt, sondern etwas Schönes daraus macht. Ich kann mir vorstellen, wie sehr Jesus die Initiative von den Männern gefallen hatte, die ein Loch in die Decke rissen, um ihren kranken Freund an Seilen herabzulassen. Sie haben vertrauensvoll drauflos gezimmert und Jesus hat es wunderbar vollendet. Der kranke Freund wurde heil, handlungsfähig und beweglich.

Manche

Lebensräume

bleiben uns verschlossen.

bleiben uns verschlossen.


Manche Lebensräume bleiben uns verschlossen. Träume klopfen an und finden nie Einlass. Menschenskinder, warum ist das so? Ich weiß es nicht. Ich wende mich von der verschlossenen Tür ab und schaue, ob es ein Fenster gibt mit Ausblick nach vorn oder nach oben. Vielleicht baut Jesus gerade eine neue Tür für mich. Dann muss ich mich gedulden, aber ich weiß, der Tischler aus Nazareth zimmert Türen, die in neue Räume führen*.





*frei nach einem Gedicht von Christina Brudereck
zuerst erschienen in FamilyNEXT 2/23

Susanne Ospelkaus