Wenn die Wolken tief hängen
Mistwetter. Hundewetter. Schmuddelwetter. Solange es keinen Schnee gibt, kleiden sich November und Dezember in neblig-feuchter Kälte und als wäre das nicht genug, drücken auch die Feiertage aufs Gemüt.
Nebel verfängt sich zwischen Häusern. Kälte hockt auf Zäunen. Feuchtigkeit kauert im Rinnstein. Es ist ein Wetter zum Verkriechen. Im Dämmerlicht geht man aus dem Haus, im Dämmerlicht kommt man wieder Heim. Herbstdepression und Winterblues schunkeln sich ein, rauben uns die Energie und hängend sich bleischwer in unsere Seele und dann diese Feiertage: Allerheiligen, Buß- und Bettag, Volkstrauertag, Totensonntag. So viel Schwermut.
Schlechtes Wetter und Trauerzeit
In dieser Zeit bekomme ich die meisten Anfragen für meine Lesungen rund um das Trauerthema. Ich freue mich auf diese Gelegenheiten und mühe mich, meinen Zuhörer_innen Leichtigkeit zu schenken, trotz Thema, Mistwetter und Dämmerlicht.
Es sind doch immer alle Gefühle gleichzeitig. Abschied und Neubeginn geschehen im Winter wie im Sommer. Zweifeln und Hoffen begegnen sich im Herbst wie im Frühling. Ich wünschte, wir würden über den Tod im Frühsommer sprechen, wenn Mandelbäume blühen und alles lindgrün leuchtet, wenn die Natur uns zeigt, dass es Aufbruch und Neuanfang gibt. Aber nein, wir rennen Allerheiligen auf den Friedhof, zupfen matschiges Laub aus dem Grabschmuck und schlagen uns die Kälte aus dem Körper, während der Pfarrer und rotnasige Ministranten durch die Grabreihen ziehen. Ich bin keine Katholikin, trotzdem feiere ich diesen Tag auf dem Friedhof, weil ich mich mit der Gemeinschaft verbunden fühle, und das irgendwie die eigenen Wunden verbindet.
Brauchtum und ein guter Gedanke
Etwas neidvoll schaue ich nach Mexiko. Die Menschen feiern Allerheiligen mit Schmuck, Gebäck und Musik. Día de los Muertos nennen sie ihr Fest. Man könnte einwenden, dass es heidnisches Brauchtum sei. „Ja, aber …“, protestiere ich. „Sie feiern das Leben und hoffen auf ein Wiedersehen. Sie picknicken am Grab und prosten sich Tequila zu. Wir werden auf Friedhöfen stumm und steif. Schade!“
Und dann entdecke ich so wunderbare kleine Initiativen wie in Fürth. Einmal in der Woche pausiert ein Mini-Café auf Rädern auf dem Friedhof. Es gibt Kaffee und Kuchen – wie wunderbar ist das! Man setzt sich auf eine Bank unter die alten Bäume, wärmt sich die Hände am Kaffeebecher und genießt den Moment. Ich bin sicher, dass sich schöne Erinnerungen dazu gesellen, wahrscheinlich auch wehmütige, aber nicht nur.
Sankt Nikolaus und Perchten
Ich lebte noch nicht lange in Oberbayern, da ging ich mit meinem dreijährigen Sohn zum Nikolausfest in unserem Dorf. Ich wusste schon, dass der hiesige Nikolaus ein weißes Gewand mit goldener Stickerei trägt und eine imposante Bischofsmütze hat. Uns erwarteten Stände mit Glühwein, Kinderpunsch und Naschwerk. Vorfreude. Doch plötzlich gab es ein Stampfen und Kreischen. Schellen, Trommeln und Tröten sprengten die Harmonie. Die Perchten spielten auf, gruslige Gestalten mit Pferdefüßen, Fellmänteln und Fratzenmasken. Ich zuckte vor Schreck zusammen. Mein Sohn brüllte. Alle Kinder klebten an den Eltern und beobachten den schaurig-spannenden Umzug. Die Perchten vertreiben Dämonen und die unruhigen Seelen der Verstorbenen, so das Brauchtum. Herrje, Dunkelheit vertreibt Dunkelheit? Mit meinem verängstigten Kind auf dem Arm rannte ich aus dem Getümmel. Der Nikolaus war uns nun auch egal.
Rabimmel, rabammel, rabum
Aber für einen Feiertag während der trüben Zeit bin ich besonders dankbar – Sankt Martin. Gänsebraten und Lampions, Gesang und Süßigkeiten. So manche bunte Laterne baumelt während der Winterwochen am Gartenzaun oder im Kinderzimmerfenster. Das finde ich schön. So vertreibt man die schweren Gedanken – mit Licht und Wärme.
Es ist immer noch Schmuddelwetter. Kalt, nass, trüb. Selbst in Süddeutschland schneit es wenig und deckt nur dürftig die Tristesse zu. Doch immer mehr Lichter hängen an Sträuchern, in Türeingängen und Fenstern. Manchmal orgelt es wild in blau, grün, orange und rot. Egal, Hauptsache Leuchtzeichen in der Dunkelheit, die uns vorbereiten, erinnern und ermutigen: Es gibt ein großes, ewiges Licht in dieser Welt.
der Text erschien in der FamilyNext 6/22