Es ist kompliziert.
Es wird geredet, geschrieben, geschimpft, geklagt, spekuliert und demonstriert gegen und wegen Corona. Wir leben in einer komplizierten Zeit, denn keiner kann auf Erfahrungen zurückgreifen.
Das Wissen über die 300 Nanometer kleine Corona muss erst erworben werden und das ist ein Prozess. Geduld, die Fähigkeiten, sich zu hinterfragen, und die Perspektiven zu wechseln sind Grundvoraussetzungen für wissenschaftliches Arbeiten.
Geduld und Perspektivenwechsel würden uns alle guttun unabhängig von Corona. Wir ertrinken in einer Flut aus Meinungen und Behauptungen. Wir haben nicht nur eine Inflation von Geldwerten, sondern auch von Worten. Die Wortinflation ist zerstörerisch, denn sie greift die Menschlichkeit an und das, was schutzbedürftig und schützenswert ist.
Ich habe mich von einigen Facebook-Freunden getrennt. Im echten Leben haben wir gute Gespräche, aber die digitale Freundschaft wird von Worten geflutet, die nur das Schlechte zum Vorschein bringt — Egoismus, Stolz, Rechthaberei. Ich kann es nicht mehr ertragen. Das Leben ist kompliziert und auch ich hadere mit einigen Corona-Maßnahmen. Meine 99-jährige Oma verwelkt im Altenheim. Sie vermisst die Besuche, die Berührung und Zuwendung. Wer streichelt jetzt ihre steifen Finger und wer würde ihr frischen Flieder in das Zimmer stellen? Wir hoffen auf Lockerungen.
Ich sehe die Kinder mit Handicaps, die dringend in eine Einrichtung müssten und verstehe, dass vielen Begegnungen es erschweren, Infektionsketten nachzuvollziehen.
Ich weiß, wie sehr sich die Menschen in den Behindertenwerkstätten danach sehnen, zu arbeiten. Sie brauchen die Routine und die Bestätigung aus Ihrer Arbeit, dass sie etwas Sinnvolles tun (nicht nur sie, auch wir).
Ich spüre die Verzweiflung chronisch-immunschwacher Menschen, selbst eine Erkältung ist ein Risiko, wie viel mehr eine unberechenbare Corona.
Ich kenne Unternehmer, die von Existenzängsten geplagt werden. In dieser komplizierten Situation hilft weder schimpfen, noch hetzen und schon gar nicht, der Stolz, es selbst besser zu wissen.
Es heißt, Bescheidenheit, Dankbarkeit und Geduld sind Tugenden. Diese Eigenschaften kann man nicht herbeirufen. Sie entwickeln sich und das ist unbequem und manchmal schmerzhaft. Mit Bescheidenheit, Dankbarkeit und Geduld kann man keine Krise beseitigen, aber überstehen, ohne sich selbst dabei zu verlieren.