geknickt, aber nicht gebrochen
Im letzten Herbst hatte ein Sturm den alten Baum zu Boden gedrückt. Große Äste waren gesplittert und senkten sich ins Gras. Schade, dachte ich, es war so ein schöner alter Apfelbaum.
Als meine Kinder klein waren, gingen wir oft zu diesem Baum. Er war ein Ziel in unserem Alltag wie Spielplatz und Schafweide. Die Kleinen waren stolz, wenn sie die reifen Früchte aufsammelten und wir daraus Apfelmuss kochten. Apfelmuss und Milchreis mit Zucker und Zimt.
Jetzt komme ich nur noch zufällig an dem Baum vorbei, wenn ich zur Post radle oder zur S-Bahn muss. Der Mai treibt die Natur vorwärts. Es grünt, wächst und blüht. Das Gras steht kniehoch und Blumen setzten bunte Tupfen in das Grün. Die Äste des Baumes liegen am Boden, statt sich gegen den Himmel zu strecken. Sie versinken in der Erde und trotzdem blüht er. Leben fließt durch Äste, die nur noch zu einem viertel mit dem Stamm verbunden sind. Apfelblüten leuchten zwischen wippenden Gräsern. Ich habe ihn unterschätzt!
Wie oft geben wir etwas auf, weil wir geknickt oder niedergeschlagen sind?
Wir wünschen uns himmelhochjauchzend, durchs Leben zu tanzen, müssen (manchmal) erdentiefschluchzend durch den Alltag krauchen. Aber selbst dann, wird es etwas geben, was sich in unserem Leben entfalten kann und aufblühen wird.
Geknickt, bedeutet nicht, gebrochen zu sein. Niedergeschlagen, bedeutet nicht, versagt zu haben. Enttäuscht, bedeutet nicht, hoffnungslos zu sein.
Ich lerne von dem alten Apfelbaum und werde mich im Herbst bücken, um seine Früchte zu ernten.