Wutmut

Substantiv, feminin, [die]
Definition: eine Form des Mutes, die entsteht, weil einen etwas aufwühlt, empört und nicht mehr loslässt. Nicht zu verwechseln mit blinder Wut.

Ich nenne es Wutmut. Diese Wut, die sich in unserem Innersten regt, weil etwas ungerecht oder falsch ist, weil Menschen benachteiligt werden oder leiden. Als Greta Thunberg ihre Wutrede hielt, wurde sie bejubelt, aber auch verspottet. Man machte sich über ihr verzerrtes Gesicht lustig und darüber, dass sie doch keine Ahnung habe. Doch es steckt nicht nur Wut in den jungen Menschen, die sich um ihre Zukunft sorgen, sondern auch Mut. Die Preisträger 2021 von Jugend forscht haben sich in Themen reingearbeitet, sie weitergedacht und bewiesen, dass sie Ahnung haben und Gestalter sein wollen.

Wenn Wut regiert
Wut kann Energie und Kreativität freisetzen, wenn sie nicht egoistisch ist. Jeder kennt Situationen im Alltag, in der Wütendsein eine sehr persönliche Angelegenheit ist – da könnte man ausrasten, toben, schimpfen, doch man reißt sich (meistens) zusammen. Wut setzt sich in die Magengrube, liegt dort schwer und träge. Je ärgerlicher eine Begebenheit, umso aktiver wird sie, kraucht hoch bis in den Hals; er wird dick. Sie drückt auf die Augen; wir sehen rot. Sie explodiert in unserem Hirn, beherrscht jeden Gedanken; wir sind außer uns. Das ist nicht gut, wir sollten in uns sein und Frieden suchen, schaffen, bewahren.

Einen Buchstaben drehen
Blinde und rasende Wut lässt sich entmachten. Wir bräuchten nur das „W“ zu kippen, es zu drehen bis aus „W“ ein „M“ wird. Aus Wut wird Mut. Wutmut. Sie wird von Frieden in Zaum gehalten, kann sich beherrschen, ist nicht egoistisch, sondern großzügig, geduldig und sanft. Wutmut kennt die Liebe. Mit ihr können wir Recht schaffen, verändern und verzeihen (eine gewaltige Anstrengung).

Mutanfall statt Wutanfall
Es sind die kleinen Mutanfälle, die Großes hoffen: Frauen in Belarus demonstrieren mit Blumen zwischen bewaffneten Soldaten, junge Menschen tragen Regenschirme durch Hongkong als Protest gegen die chinesische Diktatur, Frauen hängen sich einen Barcode um den Hals und kleben ihre Münder mit schwarzen Gaffatape zu, um auf Menschenhandel aufmerksam zu machen, ein Footballspieler kniet sich während der amerikanischen Nationalhymne hin, statt zu stehen, um die rassistische Polizeigewalt anzuprangern. Wir haben viele Vorbilder in der Geschichte, die uns zeigen, wie friedliche, kompromisslose und lebensbejahende Mutanfälle aussehen. Eindrücklich: Der Kinderarzt und Pädagoge Janusz Korczak musste mit seinen jüdischen Waisenkindern des Warschauer Ghetto ins Konzentrationslager ziehen. Obwohl Korczak die Möglichkeit hatte, sich in Sicherheit zu bringen, brachte er den Mut auf, bei den Kindern zu bleiben und sie mit Würde und Fürsorge zu begleiten. Die Kinder hatten sich hergerichtet, soweit es ging, saubere Kleidung, saubere Hände. Sie trugen eine Fahne aus der Geschichte König Hänschen und sangen ein Lied, während sie ihrem Hausvater folgten.

Wutmut
Auch die Bibel erzählt von Mutgeschichten, die mit einem Funken Wut begannen, wie Mose, die Witwe mit dem Propheten Elia oder Jesus selbst.
„Sei mutig und stark!“, sprach Gott zu Josua, der das Volk Israel in Freiheit führen sollte. Neben aller Ernüchterung und Ausweglosigkeit kann Wut die Initialzündung sein, um auszustehen, ob mit Blumen oder Regenschirmen. Manchmal kann Wut der Auslöser sein, um sich hinzuknien oder ein Lied zu singen. Lasst uns wutmutig und hoffnungsstark sein, vielleicht wie Mose, wenn wir neues Land betreten oder wie die Witwe, wenn wir Versorgung bedürfen oder selbst wie Jesus, wenn wir Ungerechtigkeit begegnen. Wutmut!

zuerst erschienen ERF-Online