Und wieder ein Abschied

Gerade hatte ich ein Weihnachtsbäumchen auf das Grab meines ersten Mannes Thomas gestellt, es geschmückt und in den Himmel geschaut: Ja, er wird schneien.
Dann erhielt ich den Anruf, dass meine Schwiegermutter – Thomas Mutter – verstorben ist.

Jetzt? So plötzlich? Ich bin traurig. Wir hatten uns gut verstanden, in den letzten Jahren wurde unser Verhältnis sogar immer besser. Es war von der Dankbarkeit geprägt, dass wir einander haben und dass meine erste Schwiegermutter Teil meiner neuen Familie bleibt. Sie war unsere letzte Verbindung nach Unterfranken. Ich werde die Mundart vermissen. Hartes B und weiches B, hartes D und weiches D. Ach, niemand wird mehr meinen Namen so aussprechen, wie Thomas und seine Eltern es taten. Es klang wie Zuzanne. Immer, wenn wir über Thomas sprachen, seufzte meine Schwiegermutter. Seit dem Tod ihres Sohnes lag ein großes Seufzen in ihrer Seele.

Sie war eine belesene Frau und es machte mir Freude, ihr Bücher zu schenken. Mein vorletztes Geschenk war die Biografie von Paul Maar. Sie kannte die Orte und sogar einige Personen aus dem Buch. Es war schön, ihr zu zuhören. Mein letztes Geschenk war mein Roman Die Gewandnadel.

„Das ist für Weihnachten“, sagte ich.
Sie nickte.
„Du darfst es nicht vorher lesen.“
Sie lachte, denn ich kannte ihre Ungeduld. Sie hatte Geschenke häufig vor einem Festtag geöffnet.
Vor zwei Wochen telefonierten wir.
„Es ist wunderbar“, sagte sie.
„Du hast doch das Geschenk aufgemacht?“
„Ich war so neugierig.“
Und dann erzählte sie, was sie durch meinen Roman gelernt hatte oder welche Erinnerungen manche Szenen auslösten.
„Thomas wäre stolz auf dich“, sagte sie und ich seufzte.

Jetzt bin ich froh, dass sie ungeduldig war, sonst wäre es zu spät gewesen. Vier Tage vor Weihnachten zünden wir ein Grablicht für sie an und trauern und wissen, dass ihr großes Seufzen ein friedliches Ende gefunden hat.