Sie spielen ja nur!
Irgendwann passiert es. Das kindliche Spiel gerät in den Hintergrund. Spätestens in der Vorschule spüren Kinder, dass es ernst wird. Jetzt sollte man ein schönes Bild von sich malen können mit Körper, Hals, Gesicht, Gliedmaßen und zehn Fingern. Der eigenen Namen gehört in wackligen Buchstaben auf das Selbstbildnis. Ein Glück ist es, wenn man Mia oder Max heißt und nicht Josephine oder Jonathan.
Es gibt Lern- und Förderspiele und sie sollen die Kinder auf die Schulzeit und das Lernen einstimmen. Dabei lernen Kinder von Geburt an. Ihr Spiel ist immer ernst. Sie bauen Höhlen und Schlösser, sie spielen Familie und Pirat, sie basteln Papierschlangen und Flieger. Sie machen Dinge, die die Erwachsene nicht verstehen, weil sie erwachsen sind. Sie entdecken Figuren, wo andere nur einen Besen sehen. Sie konstruieren Maschinen mit unaussprechlichen Namen. Sie reisen in geheime Welten. Aber irgendwann passiert es. Dann sagen die Erwachsenen: „Du spielst ja nur. Du solltest jetzt üben und lernen.“
Das klingt nicht nach Spaß. Dabei lernt der Mensch am besten, wenn es spielerisch und mit Freude geschieht. Im Altenheim erinnert man sich wieder daran, Geragogik statt Pädagogik. Mit Gesellschafts- und Konzentrationsspielen versucht man, Hirn und Emotionen anzuregen. Es funktioniert.
Nur warum haben wir Erwachsenen uns das Spielen abgewöhnt? Dabei bedeutet Spiel nicht, nur nach Lust und Laune zu handeln. Kinder erleben auch im Spiel Frust. Aber sie halten ihn aus, wenn sie fasziniert sind. Neugier und Faszination regen uns an, durchzuhalten und auszuprobieren. Dann sind wir bereit, auch einen zähen Text zu lesen, Formeln auswendig zu lernen oder Tabellen zu erstellen. Das kindliche Spiel treibt sich selbst durch Faszination voran. Wir Erwachsenen können die Spielfreude mit wenigen Worten demontieren. „Jetzt baue doch etwas Sinnvolles. Mach doch mal was anderes. Bald bist du ein Schulkind, zeichne Linien und Schlaufen. Gib dir doch mehr Mühe.“
Dabei geben sich Kinder in ihrem Spiel immer Mühe. Erst wenn sie etwas ohne Faszination tun, wird es lustlos oder fad. Manchmal wundern sich die Eltern, dass ihr Kind trotz des rappelvollen Kinderzimmers nicht spielt. Sie sind leidig und quengelig. Ihnen fehlt die Faszination, warum sie mit Schloss, Kuscheltier, Autos, Papier und Stiften spielen sollten. Manchmal braucht es nur eine kleine Anregung. „Dem Teddy ist kalt, hat er keinen Pullover? Alle blauen Autos parken heute auf dem Teppich. Papa bräuchte einen Stifthalter aus Lego.“ Ein Gedanke setzt sich in Gang und stupst neue Ideen an.
Während meiner Therapie mit Kindern nehme ich die Eltern mit in die Räume. Sie sollen sehen, was wir machen. Häufig sagen sie: „Ach, sie spielen ja nur.“
Hallo? Das ist harte Arbeit für das Kind und für mich. Das Kind überlegt, wie der Teddybär in die selbst gebaute Höhle kommt. Ich überlege, wie ich das Kind dazu anrege, die Arme zu überkreuzen, beidhändig zu hantieren, in die Bauchlage zu kommen oder einen Pinzettengriff zu machen, ohne es aus seinem Spiel zu reißen. Wir grübeln intensiv, schweigen konzentriert, lachen zufrieden und freuen uns am Erfolg. „Das habe ich alleine geschafft!“, sagt die Kleine, als der Teddy endlich in der Höhle schläft. Ich nicke und weiß, dass sie auch gelernt hat, ihre Handlungen zu planen, Bewegungen zu koordinieren und eine Lösung für ein Problem zu finden. Von wegen, Kinder spielen nur.