weil Holz sich verändert

Vor 11 Jahren
„Die Zeit heilt alle Wunden“, sagen die Leute.
Nichts macht die Zeit, sie vergeht nur. Sie kümmert sich nicht um die Wundversorgung oder den Verbandswechsel. Sie steht passiv daneben und glotzt auf meinen Kummer.

Heute
Der 16. Oktober ist ein Jahrestag. Da kaufe ich Sahnetorte, zünde Kerzen an und hole ein Fotoalbum hervor. Als die Kinder klein waren, nannte ich es Himmelsgeburtstag. Jetzt sage ich: „Heute vor elf Jahren ist Papa Thomas gestorben.“
„Schon elf Jahre? Dann kenne ich Papa viermal länger als Papa Thomas“, überlegt mein Sohn.
Ich ergänze: „Und ich bin jetzt so alt wie Thomas, als er starb.“
Wir reden über Erinnerungen und die Zeit.

Ich wollte damals keinen Grabstein, sondern ein Kreuz aus Holz. Mein Papa zimmerte es, ich zeichnete den Namen ein und er fräste ihn aus. Seit elf Jahren steht dort das Erinnerungskreuz aus Hartholz. Es zeigt mir, wie die Zeit vergeht: Silbrige Spuren ziehen sich durch die Holzfasern und Risse verändern die Struktur. Wir haben es schon einmal abmontiert, geschliffen und geölt. Ich bin nicht traurig, dass es sich verändert. Im Gegenteil, es tut mir sogar gut. Ich wollte nie, dass sich die Trauer wie eine Marmorplatte auf mein Herz legt. Ich wollte, dass es warm und veränderbar bleibt.

Die Zeit ist eine stille Begleiterin. Sie weist auf Veränderungen hin und hilft, sie rückwärtig zu verstehen. Wenn erlebtes Leid noch ganz frisch und nah ist, kann man sich nicht vorstellen, dass der Schmerz jemals nachlässt.
Die Zeit heilt keine Wunden, aber sie flüstert uns zu: „Es wird leichter.