Hände
Es sind alte Hände, hundertjährige Hände, die Hände meiner Oma.
Ihre Kinderhände zogen Puppenkleider an und aus, halfen im Haushalt und wenn es sein musste, hielten sie eine Rute, um die Kühe zu hüten. Da zitterten die kleinen Hände, denn die großen Tiere machten dem Kind Angst.
Bald glitten durch die Hände Wollfäden und strickten sich Strümpfe, nähten sich selbst ein Spielzeug – ein kleiner Elefant.
Es waren fleißige Hände. Sie wollten Kranke pflegen, doch dann mussten sie sich um fremde Haushalte kümmern. Die erwachsenen Hände entdeckten die Zärtlichkeit, wurden liebkost, für das Eheversprechen gehalten und mit einem Ring geschmückt. Kurze Zeit später hielten die Hände Taschentücher, um zum Abschied zu winken und Tränen zu trocknen. Die Tränen nahmen kein Ende. Sie hätte den Ehering abziehen können, denn sie war Witwe. Zwischen Tränen und Trauer kam das gemeinsame Kind zur Welt. Nun liebkosten und umsorgten wieder die Hände, wechselten Windeln, kochten Essen, flickten Kleidung, obwohl es weder Nahrung noch Stoff gab.
Die Hände arbeiteten hart. Sie schonten sich nicht und trugen Erfrierungen hinweg. In großer Verzweiflung und um die Kälteschmerzen zu lindern, wärmte sich die Finger im eigenen Urin.
Arbeiten und das Kind umarmen. Arbeiten und das Kind umsorgen. Arbeiten und das Kind begleiten. Die Zeit verging und es wurde friedlicher. Das erwachsene Kind ging der Mutter zur Hand, baute, reparierte und chauffierte.
Selbst als die Arbeit weniger wurde, wollten die Hände nicht ruhen. Sie banden Blumen, kochten Eintöpfe, buken Kuchen und stricken Socken aus Freude und Großzügigkeit.
Die Hände hielten die Enkelkinder und zeigten, wie man die Steine beim Mühlespiel bewegen musste. Die Hände putzen Nasen und legten Katzenbabys in den Schoß ihrer Enkelchen. Die Hände berührten die winzigen Finger ihrer Urenkel.
Die Zeit verging. Manchmal war sie schwer, manchmal leicht und oft beides zugleich. Die Hände wurden müde, konnten nicht mehr zupacken; aber empfangen. Sie waren offen für Berührungen und Worte. Sie waren warm und weich. Wahrscheinlich waren sie nie so zart wie mit hundert Jahren.
Ich hielt die Hände meiner Oma ein letztes Mal,
dann musste ich sie loslassen.